Ein Artikel von
NZZ-Wirtschaftsredaktor Gerhard Schwarz bestätigt die Beschlußlage der JuLis Höchberg. Via
Liberales Institut Zürich:
Die Erbschaftssteuer zerstört die Verfügungsfreiheit über das Privateigentum, bestraft den Konsumverzicht und führt zur Zerschlagung von Firmen.
«Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.» Johann Wolfgang von Goethe, Faust I
Die Linke hat sie seit je hochgelobt. Als «intelligenteste Steuer überhaupt» hat sie der ehemalige Präsident der SP Schweiz, Hans-Jürg Fehr, bezeichnet. Auch auf bürgerlicher Seite geniesst sie Sympathien. Bundesrat Kaspar Villiger etwa hat sie 2003 - erfolglos - propagiert. Die Rede ist von der Erbschaftssteuer. Nun ist sie wieder zum Thema geworden. In Deutschland, wo längst die Zeit angebrochen ist, da die nach dem Krieg aufgebauten Vermögen an die nächste Generation weitergegeben werden, wird heftig über eine Reform gestritten, die die Vererbung von Unternehmen erleichtern soll. Und in der Schweiz, wo viele Kantone die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen abgeschafft haben, ist die Schrift «Reichtum ohne Leistung» des ehemaligen Zürcher Kantonsstatistikers Hans Kissling von diversen Journalisten lustvoll für eine eigentliche Kampagne zugunsten einer nationalen Erbschaftssteuer aufgegriffen worden.
Bestrafter KonsumverzichtTatsache ist, dass in einer idealen Welt, gewissermassen auf der grünen Wiese, die seit je das bevorzugte Tummelfeld der wirtschaftspolitischen Konstruktivisten ist, die Erbschaftssteuer nicht ohne Reiz ist. Sie stellt zwar, wie jede Steuer, einen Eingriff in die Verfügungsgewalt der Menschen über ihr Privateigentum dar, aber sie ist ziemlich sicher einfacher und effizienter sowie - vordergründig - schmerzloser als etwa die Einkommenssteuer. Doch in der realen Welt schmelzen diese und allfällige weitere Vorteile rasch dahin oder erweisen sich gar als versteckte Mängel.
Einigermassen unklar ist, ob eine Erbschaftssteuer leistungshemmend oder -fördernd ist. Auf den Leistungswillen der Erben mag sie sich positiv auswirken, denn sie müssen sich mehr anstrengen, wenn sie nicht auf ein Erbe zählen können. Allerdings gibt es neben den «Buddenbrooks» dieser Welt genug Erben, die aus innerer Motivation heraus gemäss dem Goetheschen Motto das Erbe hegen und mehren und damit «rechtfertigen». Für jene, die vererben, kann die Erbschaftssteuer dagegen durchaus einen negativen Anreiz setzen. Ihr Konsumverzicht wird nach ihrem Tode bestraft. Da könnten viele versucht sein, lieber das Leben zu geniessen und die Kinder zu Lebzeiten durch Geschenke unter der fiskalischen «Aufgreifschwelle» zu begünstigen, als ein Vermögen zu äufnen.
Nicht nur die Leistung zähltDas häufigste Argument zugunsten einer Erbschaftssteuer ist das der Chancengerechtigkeit. Man sollte diesen Begriff jedoch nicht überdehnen. Dass begabte Menschen unabhängig von der Finanzkraft ihrer Eltern Zugang zu höherer Bildung haben sollten, ist unbestritten. Aber wollte man alle Unterschiede, die mit dem familiären Hintergrund zu tun haben, vom regionalen und soziokulturellen Umfeld über den Wohlstand, in dem man aufwächst, und die Vermögen, die man erbt, bis hin zur genetischen Ausstattung, angleichen oder gar ausgleichen, also die Zufälligkeiten der Geburt ausmerzen, landete man beim allwissenden Zentralstaat. Zudem ist das Stichwort «Startgerechtigkeit» insofern irreführend, als aufgrund der hohen Lebenserwartung die Erben in der Regel nicht Berufsanfänger sind, sondern eher Menschen, die selbst kurz vor der Pensionierung stehen.
Auch der Hinweis auf die Leistungsgerechtigkeit führt in die Irre. Im Gegensatz zu einem verbreiteten Glauben hängen in einer dynamischen Gesellschaft - im Gegensatz zur statischen Utopie - Einkommen und Status nie nur von der individuellen Tüchtigkeit ab. Vielmehr spielt das, was wir Zufall oder Schicksal nennen, eine zentrale Rolle. Eine marktwirtschaftliche Ordnung bietet also keine Garantie dafür, dass sich Leistung immer und überall (gleich) lohnt; sie sollte diese nur nicht behindern und bestrafen. Ausserordentlicher Erfolg stellt sich dagegen erst ein, wenn zur Tüchtigkeit das nötige Glück kommt. Das mag man als ungerecht empfinden. Die Alternative zur Bestimmung der Einkommen und Vermögen auf der Basis von Leistung und Glück ist jedoch die Zuteilung durch das Kollektiv und die Bürokratie. Eine solche Durchsetzung der Gerechtigkeitsideale einzelner Gruppen oder einer Mehrheit zerstört die Verfügungsfreiheit über das Privateigentum. Wenig «gerecht» ist die Erbschaftssteuer schliesslich mit Blick auf das «Äquivalenzprinzip». Sie belastet nicht im Geringsten nach Massgabe der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, sondern ist eine blosse Umverteilungssteuer.
Zerschlagung von FirmenDaneben gibt es praktische Gründe, die gegen Erbschaftssteuern sprechen. So ist die Gefahr laufender Steuererhöhungen bei Erbschaftssteuern höher als bei Einkommenssteuern. Letztere treffen viele, so dass sich eher Widerstand formiert, wenn sich der Staat ein ständig grösseres Stück vom Kuchen abschneiden will. Die Erbschaftssteuer dagegen tangiert wenige Personen, liegt für die meisten weit weg und ist vielleicht weniger schmerzhaft. Das macht sie zum leichten Opfer der notorischen Gefrässigkeit des Staates. Ferner führen Erbschaftssteuern für hohe Vermögen zur Abwanderung von Reichen und zu weniger Zuwanderung.
Schliesslich und vor allem schaffen hohe Erbschaftssteuern grosse Probleme bei der Vererbung von Unternehmen. Die meisten grossen Reichtümer bestehen ja nicht aus Bargeld oder Aktienbeständen, sondern aus Realkapital. Deshalb können Erbschaftssteuern zur Zerschlagung ganzer Firmen führen. So sehen manche mittelständische deutsche Unternehmer derzeit die einzige Möglichkeit, um das von ihnen aufgebaute Unternehmen zu retten, in der «Steuerflucht» in die Schweiz.
Elementare UngleichheitWeil grosse Vermögen oft in Unternehmen stecken, stellen hohe Erbschaftssteuern somit nicht nur einen klassenkämpferischen Angriff auf die bürgerliche Gesellschaft und die Familie dar, sondern sie treffen auch die Marktwirtschaft ins Mark. Für ihr Funktionieren, etwa für die langfristige Bereitstellung von Risikokapital, ist die Anhäufung von Vermögen in einer Hand und die damit verbundene Ungleichheit elementar. Der Wirtschaftshistoriker Harald James sieht daher in der Vererbung jene wichtigen DNA-Ketten, die die liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zusammenhalten, die Vermögensbildung fördern, die Investitionstätigkeit anregen und die Familienbande stärken. Und umgekehrt kommt es nicht von ungefähr, dass Marx und Engels den Kapitalismus mittels hoher Erbschaftssteuern aus den Angeln heben wollten.
Wer die Macht, die Reichtum mit sich bringt, zähmen will, ohne die Freiheit zu gefährden, darf dies nicht durch die Enteignung von Erben tun. Ordnungskonform sind dagegen die Durchsetzung des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz, die Stärkung des Wettbewerbs und die Sicherung sozialer Mobilität. Immerhin ist das Vermögen des «Neureichen» Bill Gates grösser als das über mehr als ein Jahrhundert aufgebaute Vermögen der Familien Ford und Rockefeller zusammen. Und in der Schweiz haben Unternehmer wie Christoph Blocher oder Nicolas Hayek manche «alte Reiche» überholt. Es braucht also keine als Kampf gegen den Feudalismus getarnte Kollektivierung von Erbschaften. In einer offenen Marktwirtschaft nützt der Reichtum Einzelner letztlich allen.
Der Autor ist Leiter der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung und Mitglied des Stiftungsrates des Liberalen Instituts. Dieser Artikel wurde in der Neuen Zürcher Zeitung vom 24. Mai 2008 publiziert. Labels: Fakten, Klare Standpunkte, liberal gedacht, liberale Medien, Radikal-liberal